finance,

Marco Odermatt darf seine Karriere beenden?

Sal Sal Follow Apr 16, 2023 · 12 mins read
Marco Odermatt darf seine Karriere beenden?
Share this

Marco Odermatt darf seine Karriere beenden?

Marco Odermatt steht vor dem Gewinn des Gesamtweltcups.

Interview

Der Führende im Gesamtweltcup verrät, wieso er diesen Samstag in seiner Lieblingsdisziplin eigentlich nicht starten wollte, ob er sich schwere Stürze anschaut und wie es mit einem Partyplan steht.

Marco Odermatt, wo erreichen wir Sie – beim Training auf der Reiteralm?Marco Odermatt: Nein, ausnahmsweise für einmal nicht. Ich hatte eigentlich entschieden, den Riesenslalom in Bansko auszulassen, um meine Kräfte im Hinblick auf den letzten Teil des Weltcups einzuteilen. Dieses Rennen war in meinem Kopf an sich schon abgeschrieben. Doch dann fielen die Speed-Rennen in Chamonix aus und damit änderte sich auch die Trainingsplanung. Nun steht Bansko wieder auf dem Programm, aber gleichzeitig fasste ich den Entschluss, die Vorbereitung etwas anders zu gestalten.

Was heisst anders?

Ich habe zu Wochenbeginn zwei Tage lang in Engelberg trainiert und konnte damit meine freie Zeit zuhause zwischen Garmisch und Bansko verlängern.

Wie oft kommt es während der Saison vor, dass Sie in der Schweiz trainieren können?

Sehr selten. Nach der Vorbereitung auf den Gletschern in Zermatt und Saas Fee sowie den Trainings auf der Diavolezza im November sind wir danach nie mehr in der Schweiz für Trainingstage auf Schnee.

Wieso die Reiteralm?

Die Bedingungen dort sind jedes Mal perfekt – egal, was man braucht. Sie haben enorme Erfahrung in der Präparation der Pisten. Durch mein Rennprogramm gibt es während des Winters sehr wenig Trainingstage, maximal einen oder zwei pro Woche. Dann muss das Angebot erst recht perfekt für mich passen. Es liegt nicht drin, mit Experimenten allenfalls einen Tag zu vergeuden.

«Ich merke andererseits auch, dass bei Schneetrainings vor der eigenen Haustüre irgendwie nicht die gleiche Trainingsspannung vorhanden ist.»

Würden Sie sich solche Trainingsgelegenheiten in der Schweiz öfters wünschen – anstelle der jeweils sechs Stunden Autofahrt ins Salzburgerland?

Ja, logisch wäre das einfacher und entspannter. Aber ich merke andererseits auch, dass bei Schneetrainings vor der eigenen Haustüre irgendwie nicht die gleiche Trainingsspannung vorhanden ist. Vielleicht, weil es derart ungewohnt ist. Auf der Reiteralm versetzt mich der ganze routinierte Ablauf jeweils automatisch in eine Arbeitsstimmung. Es geht dort ausschliesslich ums Training.

Wieso ist das nicht möglich?

Es haben verschiedenste Faktoren einen Einfluss. Wir haben uns im Team schon oft überlegt, wo ein solch perfekter Trainingsort sein könnte. Idealerweise kann man mit dem Auto ganz nah an die Piste heranfahren. Du möchtest als Rennfahrer nicht noch auf zwei Bahnen und einen Sessellift müssen. Wegen der Schneesicherheit sollte es so hoch wie möglich sein, aber dennoch wegen des Kontrasts eine Piste im Wald. Es muss kalt genug sein, damit bei der Präparation der Rennpiste der Schnee nach dem Bewässern über Nacht gefriert. Und die Leute vor Ort benötigen spezifische, auf den Rennsport zugeschnittene Arbeitsgeräte und Material. Auf der Reiteralm fokussiert man sich enorm darauf und nützt den Rennsport als Werbemassnahme. Ich denke, in der Schweiz gibt es kaum Skigebiete, die während der Touristensaison bereit für eine solche Ausrichtung wären. Man generiert durch uns keine direkten Einnahmen. Und die Reiteralm ermöglicht für uns immer wieder schier Unmögliches.

https://www.watson.ch/imgdb/a628/Qx,B,0,0,2000,1333,833,555,333,222/8592424804067685

Odermatt ist sich den Umgang mit den Medien gewohnt.Bild: www.imago-images.de

Erzählen Sie!

Nach Schladming und Garmisch wollten wir Super-G trainieren. Aber es war enorm warm und regnerisch. Und dennoch konnten wir auf der Reiteralm dank riesigem Einsatz der Leute auf einer mit 14 Säcken Salz präparierten Piste eine 40-Sekunden-Strecke morgens um 8 Uhr für vier Fahrten benutzen. An vielen anderen Orten hätte man gesagt, dieser wenige Schnee müssen wir für den regulären Betrieb aufsparen.

Und sie wollten tatsächlich auf den Riesenslalom in Bansko verzichten! Fiel dieser Entscheid bereits vor der Saison?

Nein. Das haben wir in der Woche in Kitzbühel so entschieden. Ich habe gespürt, dass ich irgendwann eine solche Pause brauche und die Bansko-Woche schien dafür am besten geeignet, weil ich so am wenigsten verpasse.

«Aktuell hatte ich etwas mehr Zeit, da reichte es sogar für zwei Tage Wellness gemeinsam mit meiner Freundin.»

Dann kam es anders. Nach der Absage der Speedrennen in Chamonix verzichteten Sie eine Woche lang auf Skitrainings. Ein bisschen wie Ferien?

Es war super, tatsächlich ein wenig wie Ferien. Ich habe wirklich nicht allzu viel gemacht. Ich habe mich zuhause erholt. Gegen Ende Woche ging es dann doch auch wieder ein, zwei Mal in den Kraftraum.

Plagt Sie nicht schnell einmal ein schlechtes Gewissen, wenn Sie nicht auf den Ski stehen?

Nein, überhaupt nicht.

Was tun Sie während diesen kurzen Auszeiten für Ihr Wohlbefinden?

Mit Ausnahme der vergangenen Tage sind die Pausen während der Saison nicht allzu lang. Für mich ist dabei sehr wichtig, dass ich zuhause als allererstes immer die Dinge, die anstehen, erledigt habe. Ich folge dabei meiner To-Do-Liste. Erst danach kommt die wahre Zeit der Erholung. Dort sind es eher die kleinen Dinge – ein gutes Essen, eine Massage oder ein Termin beim Physio. Aktuell hatte ich etwas mehr Zeit, da reichte es sogar für zwei Tage Wellness gemeinsam mit meiner Freundin.

«Ein Sieg ist für mich nie selbstverständlich. Das muss auch so bleiben.»

Sie haben vor dem Weltcup-Auftakt gesagt, eine Steigerung im Vergleich zur vergangenen Saison sei praktisch nicht möglich. Nun geht es doch. Wie machen Sie das?

Das weiss ich eigentlich auch nicht so genau. Ich dachte vor der Saison wirklich, dass eine Steigerung nicht möglich ist. Ich hatte auch in der Vorbereitung nie das Gefühl, besser Ski zu fahren als im vergangenen Jahr. Überhaupt nicht! Doch mittlerweile besitze ich so viel Erfahrung als Fahrer, dass ich rund um die Rennen fast immer und überall die richtigen Entscheidungen treffe – vom Material über die Taktik bis zum Verhalten auf der Piste.

Wann werden Siege selbstverständlich?

Ein Sieg ist für mich nie selbstverständlich. Das muss auch so bleiben.

Auch nicht, wie es sich anfühlt, zuoberst auf dem Podest zu stehen?

Klar entsteht eine gewisse Routine, wenn man die Nationalhymne zum zehnten Mal in der Saison hört. Aber es bleibt jedes Mal etwas Schönes und vor allem darf man es wirklich nie als selbstverständlich betrachten. Es reicht, wenn die Medien es inzwischen so verbreiten. Es wäre nicht gut, wenn ich auch noch damit anfangen würde.

https://www.watson.ch/imgdb/bd7f/Qx,B,0,0,1300,867,541,361,216,144/1700641894887055

Odermatt feiert mit Sarrazin und Paris das Podest in Kitzbühel.Bild: APA/APA

Was tun Sie gegen diese Art von «Erfolgs-Lagerkoller»?

Ich muss da nichts aktiv dagegen tun. Ich weiss, was alles hinter einem Erfolg steckt und was es alles braucht, damit es jedes Mal wieder funktioniert. Es wird mir auch mit Blick auf die eigenen Teamkollegen regelmässig bewusst, dass längst nicht immer alles aufgeht.

In einem Jahr ohne Ski-Grossanlass sind die Klassiker in Adelboden, Wengen und Kitzbühel die Highlights der Saison. Diese Rennen sind vorüber, was motiviert Sie jetzt, weiterhin an die Grenzen zu gehen?

Gerade in der Abfahrt bleibt der Kampf um die Weltcupkugel eine sehr enge Angelegenheit. Das ist Ansporn genug, um bis zum Schluss dranzubleiben. Aber auch im Riesenslalom bleibt jedes Rennen eine Herausforderung. Wir sind in den kommenden Wochen auch geografisch wieder weiter weg, ich habe weniger Programm drumherum. Ich freue mich auch darauf, da kann ich die Rennen als solches geniessen.

In den letzten Wochen dominierten die Bilder von vielen üblen Stürzen den Ski-Weltcup. Man sah jüngst nicht selbst betroffene Fahrerinnen mit Tränen in den Augen? Welche Emotionen wecken solche Stürze bei Ihnen?

Logisch keine positiven. Und gleichwohl gehört es irgendwie zum Geschäft. Was in den vergangenen Wochen passiert ist, ist sicher zu viel. Ich sehe aber kein Muster oder Verbindungen hinter der Sturzserie – schon gar nicht bei den Männern. Ich habe das Gefühl, es kamen schlicht viele dumme Zufälle zusammen.

«Ich kann mir gut vorstellen, dass bei all dieser Kommunikation über Funk oder andere Kanäle eine Art kollektive Verunsicherung entstanden ist – und dann passiert es halt noch schneller.»

Auch in Cortina bei den Frauen?

Ich denke, Lara Gut-Behrami hat es passend beschrieben. Man hat über alles Mögliche gesprochen, anstatt sich auf das Fahren zu konzentrieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass bei all dieser Kommunikation über Funk oder andere Kanäle eine Art kollektive Verunsicherung entstanden ist – und dann passiert es halt noch schneller.

Wie gehen Sie persönlich damit um, wenn in einer Abfahrt beim Fahrer vor Ihnen der Helikopter kommen muss?

Man bekommt es sicherlich mit, aber in dieser Phase der eigenen Fokussierung doch nicht so ganz im Detail. Ich lasse das in diesem Augenblick nicht an mich heran und denke nicht darüber nach.

Aber wenn Ihr Freund Aleksander Kilde sagt, er wisse nicht, ob er den Weg zurück an die Spitze findet, beschäftigt Sie das?

Ja und Nein. Ich hatte bald nach dem Sturz persönlichen Kontakt mit ihm. Ich und er wissen, welches Sprachrohr die Medien sein können. Aleksander schützt sich mit seinen Aussagen vor unnötigem Druck und Stress. Er täte sich im jetzigen Moment keinen Gefallen, seine Rückkehr aufs Podest nächstes Jahr in Kitzbühel anzukündigen. Ich denke, es kommt bei ihm schon wieder gut.

Interview Abfahrer Marco Kohler nach schwerem Sturz: «Ich habe keine Sekunde an Rücktritt gedacht»

Und wie wirken solche Stürze auf Sie?

Am Anfang nimmt mich das sicher mit – beispielsweise auch bei meinem sehr guten Kollegen Marco Kohler. Aber dann muss man so etwas auch wieder loslassen können. Ich habe selbst zu tun, muss schauen, dass bei mir nichts passiert. Deshalb darf ich gedanklich nicht zu sehr beim Thema Sturz sein.

Sie schauen sich also im Gegensatz zu anderen Fahrern die Stürze an?

Sicherlich nicht dreimal in Zeitlupe vorwärts und rückwärts. Aber ich habe kein Problem damit.

Sind Stürze einfach ein Risiko, das zu Ihrem Sport dazugehört oder muss man differenzieren?

Verletzungen sind leider ein Teil der Risikosportart Skifahren. Manchmal tragen äussere Umstände zu einem Sturz bei, aber bei den allermeisten Fällen liegt ihm ein Eigenfehler zu Grunde. Mir kommt kein Sturz in den Sinn, bei welchem man sagen muss, da ist jemand anders als die Fahrerin oder der Fahrer schuld daran. Man muss die Fehler primär auf sich selbst nehmen.

Fühlen Sie sich unterwegs stets sicher?

Man geht an jedem Rennen ans Limit. Es gibt immer wieder Momente, wo es enger wird, als dass ich es gerne hätte.

In den letzten Wochen gingen Ihnen beinahe die Gegner aus. Wie wichtig sind Ihnen diese Duelle auf höchstem Niveau – auch für die Motivation?

Solche Duelle wollen alle sehen. Auch mich als Athleten pusht das, es ist gut für die Entwicklung des Sports und für viele eine Inspiration.

«Der Skirennsport wird nie ein globales Riesending. Das ist einfach so.»

Derzeit gibt es Diskussionen um die Belastung der Athleten. Dabei wird auch eine zunehmende Verfügbarkeit der Athleten für das Rahmenprogramm kritisiert. Was sagen Sie dazu, denn gerade Sie suchen ja auch immer wieder die Nähe zu Ihren Fans?

Ich finde es wichtig, dass die Verantwortlichen gerade bei den Speedrennen die Saisonplanung für den nächsten Winter etwas besser machen. Den Wetterumständen entsprechend gab es heuer zuerst keine Rennen, danach von Val Gardena bis Kitzbühel alles in rund fünf Wochen und jetzt ist wieder für längere Zeit Pause. Das ist nicht optimal geplant. Auch bin ich der Meinung, dass man für das Abendprogramm Regeln einführen sollte. Eine öffentliche Rangverkündigung und Startnummern-Auslosung pro Weltcuport am Abend, aber nicht deren vier wie in Wengen.

FIS-Präsident Johan Eliasch möchte den Skisport globaler machen. Wäre es cool, wenn Sie gar zum Weltstar würden?

Es ist immer ein dafür und dawider. Der Skirennsport wird nie ein globales Riesending. Das ist einfach so. Aber das ist auch nicht schlimm. Gleichwohl habe ich Verständnis dafür, wenn man betreffend globale Ausstrahlung einen Schritt machen will. Das finde ich auch cool. Es heisst schliesslich Weltcup, da gehören für mich Rennen auch ausserhalb von Europa dazu. Aber sicher nicht Wachstum um jeden Preis.

Sie wären also froh, wenn noch mehr Menschen Sie kennen würden?

Muss nicht zwingend sein. In der Region kennen mich sicherlich genügend Menschen (lacht). Ich habe das Gefühl, es können gar nicht mehr werden. Und wenn mich im Ausland mehr Personen kennen lernen, dann ist es auch nicht tragisch.

Marco Odermatt hat viel zu feiern.Bild: www.imago-images.de

Apropos Weltstar: Zumindest im Alpenraum wird inzwischen fast jeder Schritt von Ihnen irgendwo medial oder in den Sozialen Medien begleitet. Auch das lockt massenweise Fans an. Erhalten Sie eigentlich auf Videos, die Sie beim Party machen zeigen, auch mal negative Reaktionen?

Es gibt wahrscheinlich immer auf alles beide Arten von Reaktionen. Es ist inzwischen so viel, dass ich gar keine Zeit habe, die Berichterstattung über mich zu verfolgen. Kommentare in Sozialen Medien lese ich erst recht nie. Ich mache mein Ding und was davon sichtbar wird, ist halt so. Ich habe keine allzu grossen Probleme damit, wenn Leute über mich reden. Aber selbstverständlich bevorzuge auch ich positive Rückmeldungen.

Um der weltbeste Skifahrer zu sein, folgen Sie einem strikten Trainingsplan. Gibt es auch so was wie einen Partyplan? Oder anders gefragt: Sind Sie diesbezüglich spontan oder sind die Tage klar definiert, wo so etwas drin liegt?

Nein, es gibt keinen Partyplan (lacht). Das ist definitiv spontan. Das wäre auch nicht planbar. Ich kenne im Voraus weder meine Resultate noch meine Emotionen, die mich dabei begleiten.

Was gönnen Sie sich nach dieser gigantischen Saison?

Ui, das weiss ich jetzt noch nicht, die Saison ist ja auch noch in vollem Gange. Das Saisonende ist gedanklich bei mir noch ganz weit weg. Ich denke, nichts Spezielles.

Sie haben gesagt, Sie hätten sich in den letzten Tagen zuhause gut erholt. Wo ist für Sie aktuell zuhause?

Immer noch in Beckenried – seit nunmehr vier Jahren. In einer WG mit meinem Kollegen Gabriel Gwerder.

Join Newsletter
Get the latest news right in your inbox. We never spam!
Sal
Written by Sal Follow
Hi, I am Sal, the author of Example, the theme you're currently previewing. I hope you like it!